Der ideale Kunde ist nie zufrieden!
Ich halte mich für einen durchschnittlich intelligenten Menschen. Jedoch bekomme ich mehrmals am Tag deutliche Hinweise dafür, dass mich die Werbeindustrie für eine minderbemittelte Dumpfbacke hält.
Das beginnt schon morgens im Bad wenn es - wie schon seit Jahren unverändert - im Radio ertönt: "Harry hat ein Herz für Bauherren." Auf dem Weg zur Arbeit sehe ich dann Plakate, auf denen zum Beispiel ein schnurrbärtiger Kommunalpolitiker lässig an einem Flugzeug lehnt und irgendetwas von zukunftsorientierter Politik zum besten gibt. Natürlich ohne näher darauf einzugehen, was das denn nun eigentlich bedeutet.
Denn den Flughafen hat er nicht gebaut, das Flugzeug auch nicht und mit der Tatsache, dass jenes Flugzeug dort steht, hatte der Herr schon gar nichts zu tun. Aber schön modern sieht es aus.
Abends finde ich dann in meinem Briefkasten den interessanten Hinweis, dass auch ich Millionär werden könnte. Wie gern würde ich das glauben. So gern, wie die Geschichte von dem Typ, der Hundert Mark für Fünfzig Mark verkauft.
Es sind zwar immer Agenturen, die sich so etwas ausdenken - aber am Ende hat es immer ein Mensch freigegeben: der Agenturkunde. Und der hält mich scheinbar für eine Dumpfbacke. Warum sonst lässt er sich von seiner Agentur solchen Schwachsinn verkaufen und segnet den dann auch noch ab?
Der ideale Agenturkunde dagegen würde sich von seiner Agentur solchen Mist gar nicht bieten lassen, sondern selbige mit einem kräftigen Tritt in den Allerwertesten in die Wüste schicken.
Der ideale Agenturkunde besitzt Demut. Nicht vor seiner Werbeagentur, sondern vor seiner Zielgruppe, also vor den Menschen, von denen er ja letztendlich etwas haben möchte. Zum Beispiel Kaufinteresse, Treue und Markenbindung.
Demut vor der Zielgruppe bedeutet zum Beispiel, diese wie intelligente und denkende Mitmenschen zu behandeln. Und nicht wie niveaulose Dummsdorfer, die ohne den Segen der Werbung hilflos im Supermarkt herumirren würden.
Der ideale Agenturkunde ist zum Teil Psychologe, zum Teil Stratege, zum Teil Entertainer.
Er ist Psychologe, weil er die Fähigkeit besitzt, sich in andere Menschen hineinzudenken und deren wirkliche Bedürfnisse zu erkennen, statt sich einzubilden, dass der eigene Wunsch, Marktanteile zu steigern, für die Zielgruppe irgendeine Relevanz hat.
Er ist Stratege, weil er die Bedürfnisse der Zielgruppe harmonisch mit den Stärken seines Produkts oder seiner Dienstleistung in Einklang bringt und dabei eine Vision entwickelt, die über das übliche "Kauf mich" hinausgeht.
Und er ist Entertainer, weil er weiß, dass platte Witze, endlose Wiederholungen, Langeweile und dümmliche Pointen nicht dazu geeignet sind, ein Publikum zu begeistern.
Der ideale Agenturkunde ist sich darüber im klaren, dass er häufig selbst ein Teil der Zielgruppe ist, die er mit Hilfe seiner Agentur ansprechen möchte. Idealerweise hat er daher die besondere Fähigkeit, zwischen der Innensicht des eigenen Unternehmens und der Außensicht auf das Unternehmen oder das Produkt zu unterscheiden.
Also zwischen den Botschaften, die nur irgendwelche Vorstände, Ingenieure oder Abteilungsleiter interessieren. Und denen, die die Zielgruppe wirklich interessieren. Entsprechend intelligent und klar formuliert er dann auch seine Agenturbriefings.
Der ideale Agenturkunde erkennt Kausalitäten und kann diese richtig interpretieren ohne dabei die falschen Rückschlüsse zu ziehen. Denn gern nutzen manche Agenturkunden hohe Verkaufszahlen dazu, um den Erfolg ihrer meist unterirdischen Werbekampagnen und damit ihr Verständnis der Zielgruppe zu "beweisen". Dieser Beweis hinkt.
Hohe Verkaufszahlen sind weder Indiz für gute Werbung noch für ein klares Verständnis der Bedürfnisse der Zielgruppe. Zum einen gibt es da im Marketing-Mix neben dem "P" wie Promotion noch drei weitere "P", die maßgeblich an dem Erfolg oder Misserfolg jedes Produktes beteiligt sind.
Zum anderen ist es nun mal so, dass ich gern zweimal am Tag meine Zähne bürste, einmal täglich dusche, und regelmäßig meine Waschmaschine mit Kleidung und Waschpulver fülle. Daran wird auch keine Werbung jemals etwas ändern können - ganz gleich wie unkreativ, marktschreierisch, niveaulos, dumm und selbstzufrieden diese daher kommt.
Wenn ich diese Produkte schon kaufen muss, wähle ich allenfalls bei meinem nächsten Supermarktbesuch das Produkt aus, das mich in der letzten Zeit am wenigsten wie einen Vollidioten behandelt hat.
Leider gibt es heute nur selten noch Botschaften in den Medien, die mir einen positiven Anstoß geben, mich zum Lachen oder zum Nachdenken bringen. Aber es gibt sie und damit auch die Hoffnung, dass mich nicht alle Agenturkunden für eine Blödbacke halten.
Jede Agentur, die die Ehre hat, mit einem solchen Kunden zusammenzuarbeiten kann sich glücklich schätzen. Auch wenn ein solcher Kunde für Agenturen viel anstrengender ist, weil er sie zu etwas zwingt, was nicht sehr einfach ist:
Demut vor der Zielgruppe.
Paul Apostolou, 12.06.2002.