Stell dir vor, es ist online und keiner geht hin.

Was bisher geschah: Am Anfang war das Internet. Dann passierte eine lange Zeit nichts. Bis eines schönen Tages findige Unternehmer feststellten, dass dort im Internet viele Menschen sind, die man eigentlich prima bekehren könnte, um sie von der Güte diverser Produkte, Dienstleistungen oder Unternehmen zu überzeugen.

An sich ein schlauer Plan. Nur leider mit äußerst unbefriedigenden Folgen. Denn nach nur kurzer Zeit stellten viele Unternehmer fest: Keiner besucht die Website - außer Spesen nichts gewesen.

Nicht selten wurden so zig Hunderttausend Mark in einen Internet-Auftritt gesteckt, nur um hinterher zum Beispiel zu merken, dass sich kaum jemand für die großartige Firmendarstellung mit dem epischen Titel "Ein Senf erobert Schleswig-Holstein" interessiert. Dabei war alles gut vorbereitet: die Inhalte wurden in mühsamer Kleinarbeit zusammengestellt. Eine erstklassige Agentur hat den Auftritt realisiert. Die Firmenhistorie wurde komplett integriert. Alles vom ersten in Eichenfässern gegehrten Senf bis zur Einführung der Big-Pack Mixtube in der völlig neuen Geschmacksrichtung "Rotweißgelb".

Das Problem: Senf macht sich prima auf einer Bratwurst, trifft allerdings in der digitalen Form nicht den Geschmack des normalen Internet-Gourmets. Getreu dem Motto "Ich will den Senf, die Firma ist mir wurscht!" ebbt das Interesse an Produkten und Herstellern in dem Maße ab, in dem deren Wunsch nach einer Selbstdarstellung zunimmt.

Das gilt insbesondere für Produkte, die sagen wir mal, nicht ganz so viele Emotionen wecken wie zum Beispiel des Deutschen liebstes Kind: sein Automobil. Da ja prinzipiell alle Menschen mit einem gesunden Denkvermögen ausgestattet sind, haben das inzwischen auch die Hersteller von sogenannten "low involvement" Produkten gemerkt. Also von Produkten wie Senf, Dosenbier, Waschmitteln oder ähnlichen Dingen, die keine tiefgründige intellektuelle oder philosophische Beschäftigung erfordern.

Die Lösung: Man legt los und entwickelt sogenannte Mehrwerte für die Firmendarstellung in Internet. Also Kochrezepte, Fortsetzungsgeschichten, Kulturtipps und eben alles, was Menschen interessieren könnte, die sich zum Beispiel nicht für Senf interessieren.

So wird aus dem Unternehmensauftritt plötzlich ein Online-Magazin. Teilweise mit sehr lustigen Kombinationen. Vor gut drei Jahren konnte man zum Beispiel bei einer Direktbank Kino- und Kulturtipps erhalten, bei einer anderen Bank das Europawetter erfahren oder bei einem Hardwarehersteller internationale Wirtschaftsberichte lesen. Warum auch nicht? Schließlich gibt es heute auch Computer im Billig-Lebensmittelmarkt, Stereoanlagen beim Kaffeehändler, Brötchen an der Tankstelle und Lebensmittel am Bahnhof.
Wenn da nur nicht diese lästige Sache mit der Kernkompetenz wäre. Kulturtipps von einer Bank sind ja ganz nützlich, aber sollten sich die Typen dort nicht besser mit dem Geld der Kunden beschäftigen, statt ins Kino zu gehen? Woher nimmt der Kaffeeröster plötzlich das Know-how in Sachen Stereoanlagen? Und was überhaupt weiß der schwäbische Hardwarehersteller über die allgemeine Wirtschaftslage im Ghana?

Kein Problem: Einfach einen Banner gegen die Verwertungsrechte redaktioneller Inhalte tauschen oder ein paar Mark in die Hand nehmen und schon kann plötzlich jeder über alles berichten. Kaum verwunderlich also, dass man die gleichen Nachrichten innerhalb von 48 Stunden gleich dreimal bekommt. Erst bei msm.de (die es vom Spiegel.de haben), danach in einem Newsletter eines amerikanischen Videohändlers und schließlich auf der Website eines mittelständischen Schraubenfabrikanten aus Nordrhein-Westfalen. Was ist bloß aus dem guten, alten Sprichwort "Schuster, bleib bei Deinen Leisten" geworden?

Wäre es nicht schlauer die redaktionellen Inhalte an die Kernkompetenz der Unternehmensdarstellung anzulehnen? Oder über etwas zu berichten, was der erwartungsvolle Internet-Nutzer nicht schon dreimal woanders gelesen hat? Zum Beispiel Informationen über neue Produkte und Entwicklungen – frisch aus dem Nähkästchen? Hauptsache es passt zum Unternehmen, ist unterhaltsam und überraschend. Sicherlich keine leichte Ausgabe. Aber eine, für die sich das Nachdenken lohnt.

Denn am Ende des Tages bleiben immer dieselben weltbewegenden Fragen: was will mir diese Website eigentlich sagen? Warum soll ich die überhaupt besuchen? Fragen übrigens, die sich auch Jahr für Jahr die Jury vom Deutschen Art Directors Club stellen muss, wenn es wieder mal darum geht, aus zirka 200 eingesandten Exponaten die besten herauszupicken und zu prämieren.

Also die Websites, die es sogar schaffen, beispielsweise das Thema Senf in Internet so interessant zu verpacken, dass man jederzeit gern zurück kommt – ohne den Bezug zum Thema zu verlieren. Und ohne eine Bratwurst dabei zu verspeisen.

Paul Apostolou, 13.06.2001.